Autoversicherungen und Telematik-Tarife: Zwischen Rabattversprechen und Datenrisiko

Die Versicherungswelt durchlebt gerade eine Revolution: IoT‑Technologien wie Fahrzeug‑Telematik, Wearables, Smart‑Home‑Sensoren und vernetzte Systeme sorgen für datengetriebene Policen, präventive Modelle und neue Service‑Ökosysteme. Die Versicherungen sammeln Daten, die Kunden können sparen. Aber geht die Rechnung auf? Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht.
Die Autoversicherungen sind ein besonders geeignetes Feld für Datengetrieben Prämienmodelle: Eines der ersten Telematikangebote eines Autoversicherers in den USA war vor bereits über zehn Jahren Progressive Snapshot: Wer Fahrdaten über einen OBD II‑Dongle teilte, sollte laut Anbieter bis zu 30 Prozent Versicherungsprämien sparen können. Die Teilnahmequote stieg laut Insurance Journal bis 2022 um 40 % im Vergleich zu 2019.
Rabatte durch Fahrdaten: Lohnenswert oder nur Marketing?
Doch nicht alle Erfahrungen waren positiv: Nutzer berichten beispielsweise auf Reddit, dass selbst vorsichtiges Fahren kaum nennenswerte Rabatte einbrächten. Zwar würden bei gutem Fahrverhalten Rabatte eingeräumt, aber gleichzeitig stiegen die Basisrämien der Snapshot Kunden regelmäßig an und die Einsparungen seinen dahin. Im Umkehrschluss teilt man aber auch Fahrdaten mit dem Versicherer, den er im Falle eines Unfalls auch gegen den Versicherungsnehmer nutzen könne.
Das Snapshot Produkt zeichnete vor allem Daten wie Geschwindigkeit und hartes Bremsen auf. Die Annahme dahinter: Wer wenig hart bremst, fährt umsichtiger. Aber auch das ist nur eine Seite der Medaille. So kritisiert Joe Manna in seinem Blog, der die Snapshot Versicherung einige Jahre selbst genutzt hatte, dass gerade ein zu simplifiziertes deuten von Telematikdaten am Ende nicht eher Kontraproduktiv für die Fahrsicherheit ist. Denn wer in kritischen Situationen erst überlegt, ob sich sein Handeln negativ auf die Prämie auswirkt, reagiert vielleicht zu spät.
Wenn Autofahrer ihr Fahrverhalten unter dem Druck einer finanziellen Strafe ändern, führt dies zu Momenten der Unentschlossenheit. Diese Unentschlossenheit kostet jedes Jahr Tausende von Menschen das Leben. Fahrzeugtelematik kann wertvoll sein, um Fahrer zu erziehen, aber wenn sie die Ausführung eines Ausweichmanövers auch nur um den Bruchteil einer Sekunde verändert, richtet sie mehr Schaden als Nutzen an. — Joe Manna
Wie deutsche Versicherer Telematik einsetzen – und was Nutzer sagen
Auch in Europa – und speziell in Deutschland – bieten inzwischen zahlreiche Versicherer Telematik-Konzepte für Autoversicherungen an. HUK‑Coburg ist Marktführer und erreicht mit ihrem „Telematik Plus“-Tarif knapp 650.000 Kunden, die im Schnitt rund 83 € pro Jahr sparen können. ERGO bietet mit dem Baustein „Safe Drive“ einen Startbonus von 10 % und bis zu 30 % Rückerstattung via App. Auch Neodigital führt einen Telematik-Tarif mit bis zu 15 % Rabatt im Folgejahr nach Punktewertung, während Verti in Kooperation mit Renault über die App „CaReward“ garantiert 5 % bis 15 % Ersparnis bietet.
Nur lohnt sich das? Die Stimmen der Nutzer sind da durchaus kritisch. Vor allem im Datenschutz-liebenden Deutschland wollen viele nicht so gerne ihre Privatsphäre für ein paar Euro aufgeben. So heißt es in einer Diskussion auf Reddit beispielsweise:
Mein Fazit: Nach 5 Monaten habe ich nicht einmal 5€ eingespart und für die witzlose Ersparnis würde ich mich nie wieder so extrem überwachen lassen. — GlowingShoes auf Reddit
Ein anderer User schreibt hingegen, dass die Tarife sich besonders für Fahranfänger lohnen können, da diese besonders hoch sind und die möglichen Einsparungen dann Sinn ergäben. Bei langjährigen Fahrern dürften sich die Prozente bei den ohnehin niedrigen Prämien kaum spürbar auswirken. Und dann war da noch die Praxis: Um die Telematikdaten zum Versicherer zu bekommen, werden diese Meist während der Fahrt über das Handy gesammelt und übertragen. Wer sein Smartphone im Auto dann nicht immer mit dem Ladekabel verbindet, spurt das anschließend vielleicht am Akkustand.
Den einzigen Nachteil den ich bei der Verwendung festgestellt habe ist, das sich der Akku von meinem Handy sehr schnell abgenutzt hat. — KnackiKnacknuss auf Reddit
Die Versicherungen selbst profitieren dabei gleich mehrfach von der Datensammelei: Zum einen lässt sich das individuelle Risiko der Fahrer deutlich genauer kalkulieren, zum anderen eröffnen sich völlig neue Geschäftsmodelle. Etwa Zusatzservices wie Fahrstilanalyse, Unfallmeldungen oder die Ortung gestohlener Fahrzeuge. Kritiker sagen jedoch: Die eigentliche Ersparnis liegt bei den Versicherern selbst – durch weniger Schadenfälle, präzisere Risikobewertung und bessere Margen.
Außerdem ist die Art der Auswertung oft intransparent. Fahrer sehen meist nur einen Punktestand oder Score, nicht aber die exakten Rohdaten, die zur Berechnung führen. Das öffnet Tür und Tor für Fehlinterpretationen und Streitfälle – gerade wenn Versicherer nach einem Unfall auf Basis dieser Daten argumentieren. Rechtlich ist bislang noch nicht eindeutig geklärt, inwieweit solche Telematikdaten vor Gericht zulässig sind oder wie neutral sie bewertet werden.
Dazu kommt: Nicht alle Fahrstile lassen sich fair in Zahlen fassen. Wer viel in der Stadt fährt, muss häufiger bremsen, was negativ gewertet werden kann. Ebenso spielt es eine Rolle, zu welchen Tageszeiten gefahren wird – Nachtfahrten gelten als riskanter. So kann es passieren, dass Fahrer trotz defensiver Fahrweise schlechter bewertet werden, nur weil sie zu „ungünstigen“ Zeiten unterwegs sind.
Fazit
Telematik-Tarife können für bestimmte Zielgruppen wie junge Fahrer oder Wenigfahrer durchaus sinnvoll sein und Rabatte bringen. Für viele andere dürften die Ersparnisse aber kaum ins Gewicht fallen – vor allem, wenn dafür Bewegungs- und Verhaltensdaten dauerhaft an Versicherer übermittelt werden. Letztlich ist es eine Frage des persönlichen Datenschutzempfindens: Ob einem die eigene Privatsphäre wichtiger ist – oder ein paar Prozent Rabatt auf die Prämie.