Leistung ist berechenbar: Waymo untersucht Skalierungsgesetze im autonomen Fahren

Mehr Daten, mehr Rechenleistung, bessere Ergebnisse – was in der KI-Forschung längst als Gesetz gilt und irgendwie auch ein wenig nach „Captain Obvious“ klingt, war für die Entwicklung autonomer Fahrsysteme bislang nicht im selben Maße belegt. In einem aktuellen Blogbeitrag hat Waymo, die auf Robotaxis spezialisierte Tochter von Alphabet, nun erstmals detaillierte Ergebnisse veröffentlicht, die belegen: Auch im autonomen Fahren lassen sich Skalierungseffekte systematisch nachweisen – und zwar sowohl beim Training der KI als auch beim Einsatz im realen Straßenverkehr.
Waymo stützt sich bei seiner Studie auf einen umfangreichen Datensatz aus realen Fahrten: Über 500.000 Stunden autonomer Fahrbetrieb flossen in die Untersuchung ein, ein Umfang, der weit über die Größenordnung akademischer Studien hinausgeht. Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie sich die Leistungsfähigkeit der KI in verschiedenen Teilbereichen verändert, wenn man entweder die Datenmenge, die Rechenkapazität oder die Modellgröße erhöht.
Inhalt
Drei Bereiche im Fokus: Training, Datenmenge und Echtzeitverarbeitung
Untersucht wurden drei zentrale Stellschrauben: Erstens die Rechenleistung beim Training der KI („Train Compute“), zweitens die Größe des genutzten Datensatzes und drittens die verfügbare Rechenleistung bei der Echtzeitverarbeitung im Fahrzeug selbst („Inference Compute“). Dabei standen zwei Hauptfunktionen im Mittelpunkt: die Fähigkeit, Bewegungen anderer Verkehrsteilnehmer korrekt vorherzusagen („Motion Forecasting“) und das darauf aufbauende Planungsverhalten des Fahrzeugs („Planning“).
Die Ergebnisse deuten auf einen durchweg positiven Skalierungseffekt hin. Wie Waymo berichtet, ließen sich für alle drei Parameter klare Zusammenhänge zwischen dem Ressourceneinsatz und der Modellleistung nachweisen – in Form sogenannter „Power Laws“, also mathematisch vorhersehbarer Leistungskurven. Mit jeder Verdopplung von Datenmenge oder Rechenleistung verbessern sich demnach die zentralen Fähigkeiten der Modelle messbar.
Planbarkeit als zentrales Ergebnis
Nun mag es nicht besonders überraschend klingen, dass mehr Daten und mehr Rechenleistung zu besseren Ergebnissen führen. Es geht aber in dieser Untersuchung vor allem um die Planbarkeit. Besonders betont wird von Waymo die Tatsache, dass diese Leistungssteigerungen nicht zufällig oder sprunghaft verlaufen, sondern in berechenbaren Mustern. Damit ließe sich der technische Fortschritt im Bereich autonomer Systeme künftig besser kalkulieren. Wenn etwa bekannt sei, wie viel zusätzliche Rechenleistung nötig sei, um eine bestimmte Fehlerrate zu reduzieren, könnten Entwickler, Projektverantwortliche und Unternehmen ihre Ressourcen gezielter einsetzen.
Im Blogartikel ist von einer „Landkarte für die Modellentwicklung“ die Rede, die sich aus diesen Erkenntnissen ableiten lasse. Die Formulierungen deuten an, dass Waymo künftig auf eine noch datenintensivere Weiterentwicklung seiner Systeme setzt – eine Strategie, die hohe Investitionen in Hardware, Infrastruktur und Datensammlung erfordert, aber nach eigener Aussage zu einer signifikant besseren Leistung führen kann.
Mehr Rechenleistung im Fahrzeug verbessert die Ergebnisse
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung betrifft die sogenannte Inferenzphase – also die Ausführung der KI im laufenden Fahrzeugbetrieb. Auch hier zeigt sich laut Waymo, dass zusätzliche Rechenkapazität unmittelbare Auswirkungen auf die Modellleistung haben kann. Kleinere Modelle, die im Fahrzeug eingesetzt werden, lassen sich durch Techniken wie Sampling oder Clustering deutlich verbessern – vorausgesetzt, es stehen ausreichend Ressourcen zur Verfügung.
Das dürfte insbesondere für Fahrzeughersteller und Flottenbetreiber von Bedeutung sein, die bei der Hardwareausstattung bislang häufig Kompromisse zugunsten der Kosten eingehen. Diese lassen sich künftig womöglich viel exakter den tatsächlichen Bedürfen anpassen.
Die Bewegungsprognose erfordert robuste Modelle, die die Vielzahl an Ausnahmesituationen berücksichtigen, die im öffentlichen Straßenverkehr auftreten können. Dies ist eine äußerst komplexe Aufgabe, da das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer grundsätzlich schwer vorherzusagen ist. — Waymo Blog
Skalierungsgesetze im autonomen Fahren: keine Selbstverständlichkeit
In klassischen Bereichen der KI – etwa bei Sprachmodellen oder in der Bildverarbeitung – gelten Skalierungsgesetze seit Jahren als bewiesen. Die Übertragbarkeit auf andere KI-Felder war bislang jedoch nicht gegeben. Autonomes Fahren stellt in mehrfacher Hinsicht besondere Anforderungen: Daten stammen nicht aus einheitlichen Quellen, sondern aus einem komplexen Zusammenspiel von Kameras, Radar und Lidar. Situationen im Straßenverkehr sind stark variabel, selten exakt wiederholbar und zudem sicherheitskritisch – Fehlentscheidungen haben unmittelbare Konsequenzen.
Waymo selbst betont, dass es keineswegs selbstverständlich sei, dass die bekannten Skalierungseffekte auch in diesem Kontext greifen. Dass sich dennoch so konsistente Zusammenhänge zeigen, bewertet das Unternehmen als ermutigend – auch weil sie sich über verschiedene Modellarchitekturen hinweg nachweisen ließen.
Bedeutung für die Branche noch offen
Die Veröffentlichung lässt sich weniger als technischer Durchbruch im klassischen Sinne verstehen, sondern eher als methodischer Meilenstein: Entwickler erhalten ein besseres Verständnis davon, wie sie durch gezielte Skalierung die Leistungsfähigkeit ihrer Systeme systematisch verbessern können. Ob dies zu einer breiten Umstellung von Entwicklungsstrategien in der Branche führen wird, bleibt vorerst offen.